La Vita è Bella with Paolo Mereu

La Vita é Bella mit Paolo Mereu

Oct 11, 2023The Goddess Collective

Paolo, wie siehst du deine Rolle als Modedesigner und was ist deine persönliche Haltung zu Mode?
Ich sehe meine Arbeit als eine Art Selbstreflexion. Ich reflektiere verinnerlichte gesellschaftliche Erwartungen an unsere Lebensweise und hinterfrage heteronormative Stereotypen, die dabei eine grosse Rolle spielen. Deshalb konzentriere ich mich auf einen nachhaltigen Ansatz in der Mode, indem ich ausrangierte Textilien integriere und Vintage-Kleidungsstücke wieder verwerte. Meine sardische Herkunft und meine persönlichen Erfahrungen begleiten mich bei diesem Prozess.

In den Entwürfen für deine Abschlussarbeit am Institute Of Fashion Design, Academy Of Arts And Design, FHNW University Of Applied Sciences And Arts Northwestern Switzerland spielte eine braune Einkaufstüte eine grosse Rolle. Kannst du uns hierzu mehr erzählen?
Die braune Papiertüte war die Hauptinspiration, die mir half, meine Gedanken zu meiner Bachelor Arbeit auf einer symbolischen und physischen Ebene umzusetzen. Es erstaunt mich, wie diese Tüte die Identität ihres Inhalts verschlucken kann, während sie ihn gleichzeitig entblösst und alkoholische Getränke verbirgt, aber auch sichtbar macht, was darin verborgen ist. Ähnelt unsere Kleidung einer Papiertüte? Gegensätze prallen aufeinander. Ich verbinde diesen absurden Widerspruch mit absurden Erwartungen, die niemals enden werden. Man erwartet von uns, dass wir heiraten, aber haben wir ein Mitspracherecht, wen und wann wir heiraten? Ein weiterer Punkt, der erfüllt werden muss. Oder doch nicht? Machen wir es uns selbst recht oder allen, die uns unter Druck setzen? Mit dem Slogan "Nimm das Leben nicht zu ernst" wollte ich frischen Wind in diesen eher ernsten Konflikt bringen. Denn ist es nicht besser, darüber zu lachen? So entsteht in meiner Arbeit eine Mischung aus dem eher ernsten, traditionellen Ich und meinem freien, inneren Rebellen.

(das Video seiner Modenschau kannst du hier sehen: https://vimeo.com/525487631)


Du hast Ende Juni 2023 deinen ersten Creative Hub Due Due Studio in Zürich eröffnet. Wie ist es dazu gekommen und was waren die Herausforderungen dabei?
Ich sehe Due Due als Rahmen, worin alles geschieht. Die Pieces, die ich kreiere entstehen sozusagen unter meinem eigenen Namen. Ich wohne in einem Einfamilienhaus zusammen mit meinen Eltern und habe dort einen Stockwerk für mich sowie ein Zimmer als Atelier eingerichtet, worin meine Thesis sowie die ersten Stücke nach dem Studium entstanden sind, bis zur Eröffung von Due Due, Ende Juni 2022. So konnte ich meine Entwürfe bei einigen Pop-Ups präsentieren und verkaufen. Ich habe mich damals gegen ein Praktikum entschieden, da ich eines während meinem Studium bereits eins in NYC abgeschlossen habe und deshalb zu diesem Punk lieber den Fokus auf mich setzte. Dabei war für mich folgende Fragestellung zentral: "Investiere ich meine Zeit und Energie für sehr wenig Lohn in andere oder in mich selbst?" Die Antwort darauf war ziemlich einfach: "I choose me, myself and I!". Natürlich habe ich damit einen nicht ganz einfachen Weg gewählt. Aber ich finde: Man muss seinen eigenen Wert erkennen und leben. Das klingt jetzt abgedroschen, aber "I am worth it!" Zudem glaube ich fest daran, dass alles im Leben so kommt, wie es muss. Darum forciere ich nichts, sondern arbeite hart, manifestiere meine Träume und lasse es auf mich zukommen. So bin ich zum Beispiel auch zu meiner Ladenlokalität gekommen: Während eines Spaziergangs ganz in der Nähe meiner Wohnung habe ich leere Räumlichkeiten entdeckt, die Vermieter angeschrieben und boom! Es hat funktioniert!


Von wegen manifestieren, was bedeutet Spiritualität für dich?
Ich würde sagen, ich bin schon recht spirituell. Ich komme ursprünglich aus Sardinien. Genauer aus einem kleinen Dörfchen in den Bergen, wo Aberglauben schon immer eine grosse Rolle gespielt hat; auch in meiner Familie. Das hat mit von klein auf beeinflusst. Ich habe es etwa geliebt, im Sommer bei meiner Grossmutter zu sitzen und ihren Erzählungen sowie Glaubenssätzen zu lauschen. Einer davon geht so: "Am Dienstag vor dem Aschenmittwoch darfst du ja nicht nähen, denn das ist der Tag, an dem alles schief geht." Obwohl ich das mit dem Aberglauben nicht allzu ernst nehme, habe ich dadurch gelernt, auf mein Bauchgefühl zu hören. In anderen Worten: "Was sagt mir mein Umfeld?" oder "Was fühle ich bei dieser oder jener Situation oder Begegnung?" Trotzdem spiele ich manchmal damit, also challenge mein Bauchgefühl sozusagen, um herauszufinden, ob es richtig liegt … (lacht).

Welches ist deine liebste spirituelle Praxis?
Ich meditiere gerne und schwöre auf Ausräuchern. Manchmal vergesse ich aber zu meditieren und merke dann sofort, dass etwas aus dem Lot ist bei mir. Meine Gedanken überschlagen sich und drehen sich im Kreis, was mich bei meinem kreativen Arbeitsprozess ziemlich belasten kann, da ich oft allein arbeite. In solchen Momenten versuche ich dann Inne zu halten, durchzuatmen und runterzukommen. Und merke dann, dass das jeweilige Problem, das mich dann gerade abgelenkt hat, meistens gar nicht so schlimm ist. Mein Tipp: Durchatmen und nicht so streng mit sich selbst sein. Nichtsdestotrotz: It’s a journey.

Das Erste, was du nach dem Aufwachen tust? 
Ich bin nicht so der Morgenmensch, sondern eher nachtaktiv. Darum habe ich auch eher Abendrituale. Ich mag es zum Beispiel, meine Wohnung aufzuräumen, bevor ich ins Bett gehe. So kann ich am nächsten Tag ohne Stress in den Tag starten.

Was gibt dir das Gefühl zu Hause zu sein?
Für mich persönlich ist zu Hause weniger ein Ort, da ich nicht viel brauche. Vielmehr geht es mir hier um mein Bauchgefühl, das mich leitet. Sei es meine Wohnung, meinen Fashion Store und mein Leben als Ganzes betrachtet, betreffend. Ich kann mich immer darauf verlassen. Denn sobald dieses Gefühl da ist und mir sagt, es stimmt, I go for it!

Was gibt dir Energie?
Zeit für mich zu nehmen, allein zufrieden zu sein und keine Hemmungen haben. Das geht besonders gut, wenn man allein reist. Denn, wenn ich an einem schönen Ort bin, liebe ich lecker essen zu gehen und einfach mit mir selbst zu sein – das gibt mir Energie. Und selbst wenn ich mit Freund:innen verreise, machen wir ab, dass jede:r einen Tag nur für sich selbst hat.

Dein Shopping-Crush?
Nichts. Ich halte nichts von Übermass. Ich glaube eher daran, dass wenn man etwas bewusst einkauft, hat es viel mehr Wert. Am liebsten mag ich Sachen und Kleider von meinen Freund:innen, die wir swappen oder generell Second Hand Treasures. Solche Stücke bedeuten mir viel mehr als Pieces, die in einer Vielzahl erhältlich sind.

Wie würdest du dich selbst in drei Adjektiven beschreiben?
Zuverlässig, paranoid – mein Spitzname ist Paolo Paranoia (lacht) – und leidenschaftlich. 

Was ist der beste Ratschlag, den du je erhalten hast?
Zuhören und selbst entscheiden.



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