"La Vita è Bella" with Beatrice Lessi

"La Vita è Bella" mit Beatrice Lessi

Aug 08, 2023The Goddess Collective

Die Langstreckenläuferin und Bloggerin Beatrice Lessi spricht mit The Goddess Collective über Extremerfahrungen, wie man das Glück im Kleinen finden kann und gibt Tipps, wie man den inneren Kritiker zum verstummen bringen kann.

Unterhält man sich mit Beatrice Lessi, 57, hat man fast das Gefühl in einen feministischen Abentuerroman einzutauchen. Denn bevor sich die gebürtige Italienerin und Wahlzürcherin dafür entschieden hat, eine Karriere als Ultramarathonläuferin und Bloggerin zu starten, war sie eine sogenannte Wölfin des Canary Wharf. Genauer: Beatrice Lessi war eine erfolgreiche Brokerin in London und hat während den 90ern den Goldrausch der Finanzwelt miterlebt und gelebt, wurde so aber gleichzeitig auch mit den Schattenseitens dieses Scheins und Seins konfrontiert. Weshalb sie sich zur Jahrtausendwende dafür entschieden hat, alles hinzuschmeissen und ein neues Leben mit ihrer neuen Liebe Marcel in New York zu beginnen. Mittlerweile lebt die dreifache Mutter mit ihrer Familie in Zürich und schreibt auf ihrem Blog www.askthemonsters.com nicht nur über ihre Leidenschaft für Sport, Mode, Beauty und Reisen, sondern auch über Tabuthemen wie Menopause und darüber, dass Frauen über 50 durchaus noch sichtbar sind! Mit uns spricht die inspirierende Wonderwoman darum über psychische sowie physische Herausforderungen, ihre Träume und darüber, wer Beatrice Lessi wirklich ist.

Beatrice, die Finanzbranche ist nach wie vor ein eher von Männern dominiertes Berufsfeld. Kannst du uns deine Erlebnisse schildern?
Es ist per se ein Problem, wenn Frauen in solchen Berufsfeldern gut aussehen, sich gerne schön kleiden und dann noch – wie ich – einen Akzent (obwohl ich perfekt Englisch spreche, hört man mir meine italienische Herkunft halt einfach an) haben. Denn, selbst wenn, das Faktoren sind, die vom Patriarchat instituzionalisiert worden sind, erschweren sie Frauen, ihren Beruf auszuüben. Sei es in der Finanzbranche, in der Wissenschaft, im Journalismus, in der IT, you name it. Man wird so leider oft nicht ernst genommen, belächelt und/oder verniedlicht.

Wie ist es dir gelungen, dich trotzdem durchzusetzen?
Ich habe einen sehr starken Willen und bin ein Sturkopf. Wenn mir jemand sagt, du kannst das nicht oder mich belächelt, spornt mich das noch mehr an. Im Sinne von: «Denen zeige ich es!» Obwohl mich diese Haltung beruflich sehr weit gebracht hat und ich super erfolgreich als Brokerin war, habe ich körperlich und mental einen grossen Preis dafür bezahlt.

Was ist passiert?
Ich hatte bereits während meines Studiums in Pisa mit Anorexie zu kämpfen, konnte diese aber überwinden. Durch die geschilderte Situation in London bin ich wieder rückfällig geworden: Je weniger ich ass, desto besser wurden meine Leistungen aka ich verdiente mehr und ich fühlte mich (oberflächlich) grossartig. Und ich bekam dadurch viel mehr Anerkennung und Komplimente von der Society. Ein Teufelskreis.

Das können wir sehr gut nachvollziehen. Wie hast du den Ausstieg aus dieser Negativ-Spirale geschafft?
Dank der Liebe zu meinem Mann Marcel. Zudem habe ich während meiner ersten Schwangerschaft als 34-jährige die Freude am Essen wiederentdeckt. Mir ist dabei folgendes bewusst geworden: man muss sich nicht ändern, sondern sich verstehen und so akzeptieren wie man ist.

Hast du damals schon mit Marathons begonnen?
Ganz ehrlich? Ich war eigentlich so was wie ein Sportmuffel. Als Teenager habe ich sogar dafür gesorgt, vom Sportunterricht dispensiert zu werden, nur damit ich morgens jeweils zwei Stunden länger schlafen konnte! Meine Leidenschaft für Langstreckenlauf und Ultra-Marathons habe ich eher meiner Sturheit zu verdanken. Die Geschichte dazu geht so: Als ich 40 Jahre alt war, habe ich Marcel zu einem Dinner mit seinen Kollegen begleitet, die über ihre Teilnahme am London-Marathon gesprochen haben. Was mich dazu verleitet hat zu sagen: «Ich bin nächstes Jahr auch dabei.» Natürlich haben das diese Typen nicht ernst genommen – ähnlich wie damals die Broker in meinem Job früher. Das hat mich einerseits getriggert, andererseits hat mich diese Reaktion angespornt und ich habe danach sofort mit dem Training begonnen.

Heute bist du eine erfolgreiche Langstreckenläuferin und nimmst an Ultra-Trails wie dem berühmt-berüchtigten Marathon des Sables teil. Wie ist dir dieser Wandel gelungen?
Mein Mann Marcel ist Triathlet. Er hat für mich ein Lauf- und Trainings-Programm zusammengestellt und mich generell sehr in meinem Vorhaben unterstützt. Schlussendlich habe ich meinen ersten London-Marathon vor etwas mehr 15 Jahren überraschend gut bewältigt. Seither bin ich diverse 100-Kilometer-Strecken auf der ganzen Welt und sogar Ultra-Marathons gelaufen. Was ich damit sagen will: Es ist nie zu spät mit Sport zu beginnen oder seine Träume zu leben – egal wie alt man ist.

Apropos Träume leben: Du hast den Marathon des Sables absolviert und bist hierfür etwa 250 Kilometer quer durch die marokkanische Sahara gelaufen. Gab es einen Moment, als du alles hinschmeissen wolltest?
Klar. Der Marathon des Sables führt dich über Geröll, durch Dünen, Flussbette und sogar an Beduinen vorbei. In einer Woche läufst du insgesamt sechs Etappen und trägst dabei deine gesamte Verpflegung – das sind rund 10 bis 12 Kilogramm – im Rucksack mit. Dazu kommen die extremen Temperaturunterschiede: Tagsüber kann es bis zu 50 Grad an der prallen Sonne werden und in der Nacht schläfst du bei drei bis fünf Grad unter Zeltplanen oder freiem Himmel. Zusätzlich musst du damit rechnen, von Giftschlangen oder Ähnlichem gebissen zu werden. All diese Umstände machen etwas mit dir, sowohl physisch als auch psychisch. Fragen wie «Warum tust du dir das eigentlich an?» sind deine ständigen Begleiter.

Was hat dir geholfen diese Extrem-Tour durchzuhalten?
Mich faszinieren Grenzerfahrungen. Ich will das machen, was andere nicht machen. Insbesondere in einer von Männern dominierten Welt. Aufgeben kam für mich darum nicht in Frage. Was wiederum zu Anerkennung führt. Und, das gefällt mir. Man könnte darum schon sagen, ich hätte den Marathon des Sables als Ego-Booster verwendet. Falls ja, why not? Nichtsdestotrotz: Diese Extrem-Tour hat mir aber auch Erlebnisse beschert, die kaum in Worte zu fassen sind. Und, mir vor Augen geführt, dass es die kleinen Dinge sind, die unser Leben lebenswert machen.

Kannst du uns hierzu Beispiele nennen?
Du wirst währen des Marathon des Sables mit dir selbst und deinen Ängsten konfrontiert: Du hast ständig Hunger, kannst nicht duschen, es ist zu warm, es ist zu kalt, you name it. Und hier kommt die Spiritualität ins Spiel: Wenn du nichts hast, beginnst du das Leben mit anderen Augen zu betrachten und realisierst, dass der europäische Alltag alles andere als selbstverständlich ist. Für mich persönlich war der Marathon des Sables darum auch eine spirituelle Erfahrung: Die Freude an ganz alltäglichen Tätigkeiten wie zum Beispiel die Freude am Sitzen. Oder daran, die Schuhe auszuziehen. Und, die Freude, einander zu helfen oder Hilfe endlich annehmen zu können.

Von wegen Alltag, mit welchen Ritualen startest du in den Tag?
Bei mir gilt: But first, coffee (lacht)! Danach gehe ich mit unserem Hund spazieren. Das hat mich früher genervt, da bei uns in der Schweiz das Wetter so unbeständig ist. Mittlerweile habe ich gelernt, die Natur zu schätzen und mich mit Mutter Erde zu connecten. Was auch eine Form der Spiritualität für mich ist, da mir diese Momente helfen, meinen Kopf freizumachen.

Welches ist dein Rückzugsort?
Das Badezimmer, dort habe ich immer meine Ruhe.

Wie würdest du dich selbst in drei Adjektiven beschreiben?
Energetisch, neugierig und sexy! (lacht)

Du hast uns eingangs von deiner Magersucht erzählt. Wie sieht heute deine Beziehung zum eigenen Spiegelbild aus?

Natürlich gibt es hier immer wieder ups and downs, leider. Ich habe aber gelernt damit umzugehen und mich selbst zu akzeptieren. Heute bin ich an einem Punkt, wo ich ehrlich sagen kann: «Ich liebe mich, so wie ich bin!». Selbst meine Falten, was früher unvorstellbar für mich gewesen wäre.

Was ist der beste Ratschlag, den du je erhalten hast?
Am Abend vor meinen ersten Ultra-Marathon in Island bin ich einem sehr erfahrenen Läufer begegnet, den ich ihn um mentale Tipps gebeten habe. Er meinte dann zu mir: «Morgen, wenn du rennen wirst, lass keinen einzigen negativen Gedanken zu. Wenn du etwa Schmerzen hast, denk nicht, «Aua. Es tut weh, ich habe Schmerzen», sondern versuche dieses Gedankengerüst ins Konstruktive umzukehren. So zum Beispiel in: «Mein Körper will mich damit signalisieren, dass es eine Änderung braucht, damit meine Füsse nicht mehr schmerzen.» Long story short: Wenn du nur einen einzigen negativen Gedanken zulässt, bist du am Arsch. Darum gilt: Einen Schritt nach dem anderen.»

Wie setzt du diesen Ratschlag im Alltag um?
Jede Emotion ist gut und wichtig für unsere Weiterentwicklung. Nicht aber, wenn sie uns blockiert. Ich versuche mich darum, sobald mein innerer Kritiker wieder auftaucht, selbst auszutricksen: Sei dies mittels Power Posing vor einem wichtigen Gespräch oder in dem ich auf einen Bleistift beisse.

Du beisst auf einen Bleistift?!
Ja, wortwörtlich. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass wenn man sich einen Bleistift zwischen die Zähne klemmt, die Mundwinkel nach oben gezogen werden und man automatisch lächeln muss. Das wiederum schüttet Glückshormone aus und man hat bessere Laune.

Welches ist dein Lebensmotto?
Carpe Diem, Bellissime!




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